Eine Landschaft, fast vollständig weiß, wattig-weich. Wolken so dicht und schwer, dass kein Sonnenstrahl durchzudringen vermag. Ein Streifen Schnee. Der Horizont beinahe verschwimmend, verschwindend.
Wo befinden wir uns nur?
Ein wenig fühlt man sich an das meteorologische und nicht ungefährliche Phänomen des „Whiteout" erinnert. Bei schneebedecktem Boden und starker Bewölkung beispielsweise in Gebirgsregionen können stark diffuse, gleichmäßig helle Lichtverhältnisse entstehen, und Orientierungshilfen wie Landschaftskonturen, Schatten oder Horizont sind nicht mehr auszumachen.
Ein Anhaltspunkt bietet sich uns allerdings, wenn er auch anfangs noch unauffällig sein mag: Im Zentrum des Bildes - Dreh- und Angelpunkt der gesamten Serie Donovan Wylies - registriert das Auge einen feinen Strich in der ansonsten hell-weißen, beinahe monochromen Wolken- und Schneelandschaft. Es handelt sich um „Lab1" oder Cape Kakiviak, einen kanadischen und US-amerikanischen Militärstützpunkt zur Überwachung des Luftraumes und Schiffsverkehrs in Neufundland, im Nordosten Kanadas.
Weil durch technischen Fortschritt und die Entwicklung von Langstreckenbombern und -raketen nach dem Zweiten Weltkrieg Kanadas arktische Grenzen angreifbar wurden, sahen sich Kanada und die Vereinigten Staaten in den 1950er Jahren gezwungen, ein Netzwerk von Radarstationen entlang der nördlichen Landesgrenzen aufzubauen. Aufgerüstet wurden diese schließlich in den 1990ern - zum sogenannten, über die Jahre zunehmend aktiven „North Warning System".
Die Reise, auf die sich Donovan Wylie im Helikopter begibt, folgt einem ausgeklügelten Plan. Der unbemannte Überwachungsposten, am Rande der Zivilisation auf einen Gebirgszug gebaut, dessen Aufgabe es ist, unsichtbare Bedrohungen zu ermitteln, wird langsam anvisiert und strategisch umrundet. Während der Radarturm kontinuierlich im Fokus und in der Mitte des Bildes steht, verändert sich doch stetig die ihn umgebende Landschaft; Wolken brechen auf und geben den Blick frei auf Felsen, Eis und Gletscherfjorde. Die vermeintliche Ruhe inmitten dieser weißen Landschaft ist jedoch trügerisch - richtet sich doch das wachsame Auge der militärischen Station auf uns und registriert jede unserer Bewegungen.
Für den Fall der Fälle, jederzeit bereit.
Text: B. Praun / Clervaux - cité de l'image
Korrektur: S. Cremer
Ausstellungsansicht
Abbildungen © Andrés Lejona 2022