„Nina Röders Fotografien bewegen sich stets in einem Dazwischen (...)." Sarah Frost, Berlin, 2016
Die Frage nach dem Wesen des Dargestellten führt Nina Röder dazu, an der äußeren Hülle ihrer Motive zu kratzen. Visuell überträgt sich diese Suche in der Verfremdung des Gezeigten: durch Verschleiern, Verstecken, Überlappen oder durch das Camouflieren der konkreten Form. Auf unterschiedliche Art und Weise werden gewohnte Konturen von Gesichtern und Körpern aufgebrochen und als Einheit aufgelöst, um sie in einen neuen Dialog zu setzen. Das Bekannte - die vertrauten Züge ihrer Mitmenschen, der eigenen Mutter sogar, oder ihrer Umwelt - wird so erweitert und vervollständigt. Durch das Ablehnen der selbstverständlichen Wahrnehmung erlernt das Auge des Betrachters das Sehen neu.
Hier ist eine Variante des künstlerischen Prinzips „Kreation durch Destruktion" zu erkennen. Körper werden vom Wasser umspült und zeichnen sich nur bruchstückhaft von ihrem Untergrund ab. Nina Röder verdeckt Porträts mit gehäkelten, filigranen Deckchen und wechselt so mit einem einfachen Augenzwinkern von der Individualität in die Anonymität. Auf einem anderen Bild ist das Gesicht „entstellt", weil es mit Meeresalgen verhängt wurde. Eine in Stoff gewickelte Gestalt wird zur abstrakten Skulptur. Aber nicht nur formale Normen, sondern auch formelle, d.h. konventionelle, Einheiten werden zerlegt.
Die Differenz zwischen Objekt und Subjekt, zwischen „Ding" und lebendigem Organismus, wirkt aufgehoben.
Bei Nina Röder erscheint der künstlerische Akt, so subversiv er auch sein mag, nicht als brutale Geste. Das Paradox zeigt sich in all seinen feinen Schattierungen: sinnwidrig, unlogisch, verquer, lachhaft, ambivalent. Der Schock, der der Zerstörung der Form vorausgeht, wird durch den der Fotografin eigenen Humor wieder aufgefangen.
Ist alles eins? - Und welche Bedeutung lässt sich daraus schlussfolgern?
Text: A. Meyer, Clervaux - cité de l'image
Korrektur: S. Cremer
Nina Röder (*1983) lebt und arbeitet in Hamburg und Berlin (Deutschland). Sie studierte Medienkunst und Mediengestaltung mit Schwerpunkt Fotografie an der Bauhaus-Universität in Weimar. Seit 2017 ist sie Professorin für Fotografie an der University of Europe for Applied Sciences in Hamburg. Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit absolvierte sie einen Ph.D. im Bereich artistic research. Ihre Fotografien wurden bei internationalen Festivals und Ausstellungen wie dem GoaPhoto Festival in Indien, dem Europäischen Monat der Fotografie in Berlin oder dem Format Festival in Derby gezeigt. Ihr künstlerischer Schwerpunkt liegt auf der Verhandlung verborgener und unbewusster Strukturen oder Mechanismen biografischer Narrative. In ihrer Arbeit kombiniert sie Aspekte der Theater-, Bühnen- und Performancekunst mit Fotografie.
Ausstellungsansicht
Abbildungen © CDI 2021