Flying Houses

"My home is my castle" besagt eine populäre Maxime die auf den Engländer Sir Edward Coke zurückgeführt wird. Sie spricht dem Haus Privatraum zu und differenziert ihn vom öffentlichen Raum. Wenn Häuser mit Burgen verglichen werden, verleiht das dem Haus auch Festigkeit: eine Burg zeichnet sich aus durch ein solides Fundament und feste Grundmauern. Das Haus ist ein Symbol für die Sesshaftigkeit des Menschen...

Diese Überlegung entspricht aber nicht den Vorstellungen von Laurent Chéhère. Er lässt Häuser aufsteigen, wie Dachen an filigranen Leinen, reißt sie aus ihrem statischen Zustand und ebenso aus ihrem realen Kontext, der sich mit dem 19. und 20. Arrondissement in Paris überschneidet. Die neugewonnene Freiheit scheint nicht nur den Charakter des Hauses zu verändern - Chéhères Gebäude wirken plötzlich leicht und manchmal etwas zerbrechlich - sie erhebt die realen Objekte aus der Wirklichkeit auf die Ebene der Utopie. In diesem Sinne beinhalten die manipulierten Fotografien eine gewisse Kritik, da das Abdriften vom Gewöhnlichen, Gewohntes zugleich wieder sichtbar werden lässt. Die Häuserfassaden bilden die Gesichter vergangener Bauepochen, sie zeigen deutliche Spuren der Zeit, Anzeichen von Zerfall. Die Aussage der Bilder scheint plötzlich weit entfernt von der symbolischen Schutzfunktion, die Häusern üblicherweise zugesprochen wird.

Aber die „Flying Houses" sind noch viel mehr als die abgenutzten Fassaden. Die Fenster gewähren Einblick in das Innenleben der Häuser. Sie bringen nicht nur zusätzliche Geschichten zutage, sondern verraten auch die Liebe des Autors zum Detail. Seine Bilderreihe besticht durch Zitate aus der Filmgeschichte, sie fasst die typische Atmosphäre von Belleville und Ménilmontant zusammen, mit ihrem heterogenen Charakter und multikulturellem Hintergrund.

Der französische Botaniker Patrick Blanc hat bereits ganze Gärten in die Vertikale versetzt, also scheinen fliegende Häuser nicht mehr so wirklichkeitsfern? Und dann zeigt National Geographic Channel wie ein Haus tatsächlich mit Ballons vom Boden abhebt und davonschwebt (1). In diesem Sinne nähern sich die „Flying Houses" dem Genre der Science-Fiction: sie verbinden Nostalgie und futuristische Vision. Die Hommage an die Vergangenheit spiegelt sich in der Ästhetik des baulichen Erbes wider. Abenteuer und Traum, Dramatik und Poesie erklären sich durch den Einfluss von Hayao Miyazakis(2) Werk. Der Flug der Häuser bleibt eine Fiktion, die davon ausgehende Magie ist real und betörend.

(1) Flying House : Vin Marshall, Paul Carson, Eric Gocke /Produced by DARLOW SMITHSON PRODUCTIONS for NATIONAL GEOGRAPHIC CHANNELS / 2011 NGC Network International, LLC and NGC Network US, LLC

(2) Referenz an den Animationsfilm Das Wandelnde Schlossvon 2004 realisiert von dem japanischen Filmemacher Hayao Miyazaki nach dem Roman der englischen Schriftstellerin Diana Wynne Jones (Howl's Moving Castle).

Text: Annick Meyer

www.laurentchehere.com

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