„You are here" - Blick auf die Landschaft. Eine erste fotografisch gezeichnete Landschaft zeigt eine klare, deutliche Horizontlinie, die sich durch das Blickfeld zieht und die Weite und Unendlichkeit australischer Gefilde suggeriert. Eine weitere Aufnahme besticht durch eine vertikal ausgerichtete Landschaftskomposition, deren Tiefe durch die Farbperspektive bedingt ist. Die Töne sind facettenreich, sie erinnern an die Flora einer entlegenen, exotischen Region. Die menschenleere Kulisse weckt die Vorstellung einer ursprünglichen und authentischen Natur. Die Bilder sind derart intensiv, dass sie nicht nur Formen und Farben erstrahlen lassen, sondern offenbar auch Duft und Geschmack des dargestellten organischen Materials zu vermitteln vermögen. Die Vegetation scheint charakteristisch, sie überflutet den Vordergrund und lässt den Betrachter eintauchen in ein visuelles, nahezu sinnliches Erlebnis ...
Und dennoch sind es nur Bilder.
Wie bereits René Magritte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts erklärte, sind Wiedergabe und Realität zwei grundverschiedene Dinge. Die Diskrepanz zwischen beiden Welten offenbart die Fähigkeit eines jeden Bildes, einen Dialog zu entfachen, der stärker auf Ideen denn auf echten Motiven beruht. Während die reale Welt nicht in einem Augenschlag zu erfassen ist, sind Bilder im Alltag des Menschen allgegenwärtig und leicht zugänglich. Ihre Sprache beugt sich seinen Erwartungen und folgt seiner Fantasie. Seine Kenntnis ferner Länder geht jeder empirischen Erfahrung voraus : Die Herausforderung ist nicht länger physischer und konkreter Natur, die Auffassung erfolgt zweidimensional und bewahrt dabei die Möglichkeit, das eigentliche Objekt der Analyse außen vor zu lassen : die Landschaft, wie sie wirklich ist.
Dieses Phänomen hat Folgen - greifbar und sich wechselseitig beeinflussend. Die Fotografie konzipiert als Bildschöpferin eine virtuelle Realität, sie skizziert ein Paradigma, das bereits in all seiner Kraft existiert, bevor es konkrete Formen annimmt. Dieses Bewusstsein, oder vielmehr diese Vorstellung, drückt jedweder Veränderung der Landschaft durch den Menschen ihren Stempel auf. Der Mensch gestaltet seine Umwelt, die somit „Kulturlandschaft" wird. Und die naturbelassene Landschaft - droht sie allmählich zu verschwinden?
„Naturlandschaft" hat Sonja Braas gefunden und fotografiert. Verschiedene Aufnahmen ihrer Serie „You are here" entstanden in Museen und zoologischen Kontexten. Diese Naturlandschaft ist nicht real, sie ist imaginär, Bild geworden - um in einem malerischen Stil zu erscheinen, den das menschliche Bewusstsein ihr zuschreibt. Sie in dieser Form zu erfassen, scheint am natürlichsten.
Text: Annick Meyer
Übersetzung aus dem Französischen von Sabine Cremer
Ausstellungsansichten
© CDI 2015