The Circumference of the Cumanán Cactus
Bei Justine Blau entsteht Fotografie aus Fotografie. Gleiches trifft auf die Landschaft zu, die ausgehend von fotografischen Aufnahmen gestaltet wird.
Auf der Suche nach den Komponenten ihres Werks durchforstet die Künstlerin das Internet. Mag dieses virtuelle Medium auch die eine oder andere Frage offen lassen, so liefert es doch mannigfaltige Fragmente zum Mosaik des Menschen und seiner Weltsicht. Die von Justine Blau gesammelten Teilstücke werden vorübergehend zu einer malerisch anmutenden, dreidimensionalen Skulptur zusammengefügt, um ihren finalen Ausdruck in der Sprache der Fotografie zu finden. Die daraus resultierenden Bilder sind reine Fiktion, wenngleich ihre einzelnen Elemente durchaus Teile der Realität wiedergeben.
Die auf diese Art interpretierte Landschaft suggeriert eher menschliche Gestaltung als natürliche Schöpfung. Ihr Aussehen stiftet Verwirrung: Die Bild gewordene Landschaft geht in erster Linie auf eine Idee zurück und erinnert weniger an eine zweidimensional dargestellte, tatsächlich existierende Form.
Landschaft - das ist physischer Raum, dem eine ästhetische Finalität zugrunde gelegt wird. Diese Perspektive tritt häufig im Zusammenhang mit Reisen auf - ein Konzept, das für Ausbrechen, Entfliehen und Eintauchen steht und vor allem ein Gefühl von Mobilität und Dynamik hervorruft. Im Alltag fällt es uns schwer, den Blick für die Landschaft zu öffnen. Letztere ist mental vorgefasst: Sie hat nichts Gewöhnliches, neigt zu Exotismus und existiert einzig und allein im Kontext von Abenteuer und Entdeckung (des Authentischen?), um den Betrachter vor eine Herausforderung zu stellen. Die Wahrnehmung der Landschaft und ihre Erfassung bestätigen die Überlegenheit des Menschen gegenüber der Natur. Ist es womöglich sogar ein Manifest der Freiheit?
Dieser leicht verschrobene Gedankengang hat seine Ursprünge in der Grand Tour (1) und den naturhistorischen Forschungsreisen, die auf das Zeitalter der großen Entdeckungen folgten. Das kulturelle Erbe eines Alexander von Humboldt (2) ist demnach mitverantwortlich für die Entwicklung dieser abgehobenen Wahrnehmung der greifbaren Realität, selbst wenn die Anfänge gekennzeichnet waren durch ein exaktes und detailliertes Studium der Natur, um den hohen Anforderungen der Naturwissenschaften gerecht zu werden. Die Hingabe und Begeisterung der Pioniere waren ausschlaggebend und beeinflussen immer noch die zeitgenössischen Paradigmen. Um seinen ebenso hungrigen wie romantischen Geist zu nähren, bewahrt der Mensch ein komprimiertes, überzogenes und kompaktes Bild der Landschaft: ein Bild, das Justine Blau mithilfe der Fotografie visuell und auf malerische Weise dargestellt hat.
Text: Annick Meyer
Übersetzung aus dem Französischen von Sabine Cremer
(Die Serie „The Circumference of the Cumanán Cactus“ wurde mit der Unterstützung des Centre national de l'audiovisuel realisiert).
(1) lange Studienreise für die jungen Mitglieder der oberen Gesellschaftsklassen im Großbritannien und Deutschland des 17. und 18. Jahrhunderts
(2) deutscher Wissenschaftler: Geograf und Forschungsreisender (*1769 – 1859)
Ausstellungsansichten
© CDI / Nico Patz