Am Anfang der Recherchen des französischen Fotografen Jérémie Lenoir steht die Landschaft.
In einer konkreten und realistischen Darstellung spiegelt die landschaftliche Umgebung eine Gesellschaft wider, die stark von wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen geprägt ist. Unter dem Einfluss funktionaler Rentabilität läuft die Landschaft Gefahr, Formen anzunehmen, die dem Menschsein feindlich gegenüberstehen.
Lenoirs fotografische Kompositionen ähneln abstrakten Gemälden, die gleichzeitig malerisch und grafisch wirken... Sie werfen die Frage nach der künstlerischen, aber auch geografischen und landschaftlichen „Kohärenz“ auf.
Eine zweite Frage, die sich aus einer humanistischen Perspektive ergibt, lautet: Wird die so genannte Kulturlandschaft, die vom Menschen geformt und strukturiert wurde, zu einem unbewohnbaren Raum?
Auf der topografischen Karte scheinen sich die Gebiete zu vervielfältigen, die sich jeder Klassifizierung entziehen, da sie weder städtisch noch ländlich sind. Der Fotograf unternimmt einen logischen, aber entscheidenden Schritt: Er analysiert das Phänomen aus der Distanz. Die Luftaufnahmen öffnen den Blick und legen neue Regeln für das Lesen fest. Die Horizontlinie, die normalerweise den Blick bestimmt, verschwindet zugunsten des fotografischen Rahmens, der allein das Feld aus der Vogelperspektive abgrenzt. Die Landschaft wird nicht mehr als reales Element verstanden, das durch eine vertikale und lineare Dekodierung erfasst wird, sondern unterliegt den Statuten des Bildes. Sie wird zu einem Spiel mit Morphologie und Chromatik und suggeriert formlose oder geometrische Texturen und Muster.
Der abstrakte und surreale Charakter der Orte evoziert eine Verschiebung von der authentischen, sogenannten natürlichen Landschaft hin zu einem fremden und künstlichen Formalismus. Das Ergebnis sind malerisch verführerische Fotografien von beeindruckender grafischer Kraft!
Text: Annick Meyer
Ausstellungsansichten
© CDI 2016